Essentielle Thrombozythämie (ET) – Überblick für die Praxis
Antje Blum M.A.Die essentielle Thrombozythämie (ET) zählt zu den klassischen Philadelphia-negativen myeloproliferativen Neoplasien (MPN). Sie ist durch eine persistierende Thrombozytose, klonale Proliferation der Megakaryopoese und ein erhöhtes Risiko für thrombotische wie hämorrhagische Komplikationen charakterisiert [1]. Eine sorgfältige Familienanamnese ist wichtig, um eine mögliche familiäre Häufung aufzudecken. Die triple-negative ET stellt weiterhin eine diagnostische Herausforderung dar.
Ätiologie und Pathogenese
Die ET entsteht meist durch somatische Mutationen, die die myeloische Stammzellpopulation betreffen:
JAK2 V617F (ca. 55-60%)
CALR-Mutationen (ca. 20-30%)
MPL-Mutationen (ca. 5-10%)
Triple-negative Fälle sind selten, aber relevant für die Differenzialdiagnose. EIne retrospektive multizentrische Real-world-Studie fand bei manchen Patient:innen dann doch eine nicht-kanonische JAK2/CALR/MPL-Mutation, bei anderen lagen Mutationen in Passagiergenen wie AXL1, DNMT3A oder TET2 vor [2]. Die Studie bestätigt die Knochenmarkhistologie als Methode mit der höchsten Aussagekraft für die Diagnosestellung.
Diese Mutationen führen zu einer gestörten Signaltransduktion mit konsekutiver Proliferation v. a. der Megakaryozytenreihe.
Diagnostik
Die Diagnosestellung erfolgt gemäß WHO 2022 anhand folgender Parameter:
Thrombozytenzahl ≥ 450.000/µl
Nachweis klonaler Marker (JAK2, CALR, MPL)
Ausschluss reaktiver Thrombozytosen (z. B. Eisenmangel, Infektionen)
Knochenmarkhistologie: Hyperplasie der Megakaryozyten mit typischer Morphologie
Kein Hinweis auf BCR-ABL1-positive CML, PV, MF, MDS o. ä.
Prognose
Die ET zeigt eine gute Prognose mit hoher Lebenserwartung. Die Hauptrisiken sind Thrombosen (arteriell > venös), Hämorrhagien, die (seltene) Progression zur Myelofibrose oder akuten Leukämie.
Risikostratifikation
Die aktuelle Risikoklassifikation richtet sich nach dem Thrombose- und Blutungsrisiko:
Risikogruppe und Kriterien
Niedrigrisiko: Alter < 60, keine Thromboseanamnese, JAK2-negativ
Intermediärrisiko: Alter < 60, aber JAK2-positiv
Hochrisiko: Alter ≥ 60 oder Thromboseanamnese
Weitere Modifikatoren für das Risikoprofil sind kardiovaskuläre Risikofaktoren und der Mutationsstatus.
Therapie
Kontrolle kardiovaskulärer Risikofaktoren, Low-dose ASS (außer bei Kontraindikationen), Zytoreduktive Therapie (bei Hochrisiko)mit Hydroxyurea, Interferon-alpha (insb. bei jüngeren Patient:innen und Schwangerschaft), alternativ Anagrelid (Reserve, v.a. bei Unverträglichkeit anderer Substanzen). In der Schwangerschaft ist Interferon-alpha das einzige sichere Medikament.
Monitoring:
Regelmäßige Blutbildkontrollen, Beurteilung auf Symptomatik, thromboembolische Ereignisse und Progression.
Verlauf und Komplikationen
Thrombosen
Arterielle Ereignisse (TIA, Schlaganfall, Myokardinfarkt) überwiegen.
Blutungen
Besonders bei extrem hoher Thrombozytenzahl (> 1,5 Mio./µl) durch von-Willebrand-Faktor (vWF)-Verbrauch.
Transformation
Risiko auf Myelofibrose ca. 5-10%; akute Leukämie < 5%.
Eine chronische klonale Erkrankung des Knochenmarks mit Überproduktion von Thrombozyten.
Literatur:
- (1)
Onkopedia-Leitlinie „Essentielle (oder primäre) Thrombozythämie (ET)“
- (2)
Godfrey AL et al. Clinical utility of investigations in triple-negative thrombocytosis: A real-world, multicentre evaluation of UK practice. Br J Haematol 2024,00:1-6. https: //10.1111/bjh.19643