Gerinnungsstörungen: Ursachen, Diagnose und Behandlung
Dr. rer. nat. Marion AdamGerinnungsstörungen haben in der Hämatologie eine herausragende Bedeutung erlangt. Sie umfassen komplexe Krankheitsbilder, die entweder mit einer erhöhten Blutungsneigung oder einer gesteigerten Thromboseneigung einhergehen können. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die Definition, Ätiologie, Diagnostik und Therapiemöglichkeiten.
Definition: Was sind Gerinnungsstörungen?
Gerinnungsstörungen bezeichnen pathologische Veränderungen im Gerinnungssystem des Blutes. Diese Störungen können entweder eine gesteigerte Blutungsneigung (hämorrhagische Diathese) oder eine erhöhte Gerinnbarkeit (Hyperkoagulabilität) zur Folge haben. Die Blutgerinnung, ein komplexer Prozess der Hämostase, gewährleistet normalerweise den Verschluss von Gefäßverletzungen und verhindert übermäßigen Blutverlust. Bei Gerinnungsstörungen ist dieser Prozess gestört, was zu schwerwiegenden klinischen Konsequenzen führen kann.
Epidemiologie: Wie häufig treten Gerinnungsstörungen auf?
Die Prävalenz von Gerinnungsstörungen variiert je nach Art und geografischem Kontext:
Hämophilie A und B: Weltweit betroffen etwa 1 von 10.000 bis 50.000 Menschen.
Von-Willebrand-Syndrom: Die häufigste erbliche Blutgerinnungsstörung betrifft 1 % der Bevölkerung.
Faktor-V-Leiden-Mutation: In Europa bei 3–8 % der Bevölkerung nachweisbar.
Erworbene Formen wie die disseminierte intravasale Koagulopathie (DIC) treten vor allem bei schwer kranken Patienten, z. B. mit Sepsis, auf.
Ätiologie: Ursachen von Gerinnungsstörungen
Gerinnungsstörungen können genetisch oder erworben sein:
Genetische Ursachen: Defekte in Gerinnungsfaktoren, z. B. Hämophilie A (Faktor-VIII-Mangel), Hämophilie B (Faktor-IX-Mangel) und Faktor-V-Leiden.
Erworbene Ursachen: Häufig sekundär zu anderen Erkrankungen, wie z. B.:
Lebererkrankungen (verminderte Synthese von Gerinnungsfaktoren).
Vitamin-K-Mangel (durch Malabsorption oder Medikamente).
Antikoagulanzien wie Warfarin oder Heparin.
Autoimmunerkrankungen wie Antiphospholipid-Syndrom (APS).
Pathogenese: Mechanismen der Gerinnungsstörung
Die Pathogenese unterscheidet sich stark je nach Typ der Gerinnungsstörung:
Hämorrhagische Diathese: Ein Mangel an Gerinnungsfaktoren oder Thrombozyten führt zu unzureichender Blutstillung.
Hyperkoagulabilität: Eine Überproduktion von Gerinnungsfaktoren oder eine gestörte Fibrinolyse erhöht die Thromboseneigung.
DIC: Eine systemische Aktivierung der Gerinnungskaskade, oft ausgelöst durch Sepsis oder Trauma, führt zur Bildung von Mikrothromben und gleichzeitigem Verbrauch von Gerinnungsfaktoren.
Klassifikation: Welche Typen von Gerinnungsstörungen gibt es?
Gerinnungsstörungen lassen sich nach verschiedenen Kriterien einteilen:
Primäre Störungen: Angeborene Defekte wie Hämophilie oder Faktor-V-Leiden.
Sekundäre Störungen: Erworbene Ursachen wie DIC oder Leberinsuffizienz.
Nach klinischem Bild:
Blutungsneigung (z. B. Hämophilie, von-Willebrand-Syndrom).
Thromboseneigung (z. B. Faktor-V-Leiden, APS).
Symptomatik: Welche Beschwerden treten bei Gerinnungsstörungen auf?
Die Symptome reichen von spontanen Hämatomen und Nasenbluten bis hin zu schweren Komplikationen wie Thrombosen oder Embolien. Typische Symptome sind:
Blutungsneigung:
Spontane Blutungen (z. B. Nasenbluten, Zahnfleischbluten).
Hämatome nach minimalem Trauma.
Verlängerte Menstruation (Menorrhagie).
Thromboseneigung:
Schmerzen und Schwellungen durch tiefe Venenthrombosen.
Atemnot oder Thoraxschmerzen bei Lungenembolien.
Neurologische Ausfälle bei zerebralen Thrombosen.
Diagnostik: Wie werden Gerinnungsstörungen erkannt?
Die Diagnostik umfasst mehrere Schritte:
Anamnese: Familienanamnese, frühere Blutungs- oder Thromboseereignisse.
Labordiagnostik:
Globaltests wie INR, aPTT und Thrombozytenzahl.
Spezifische Tests: Faktoraktivität (z. B. Faktor VIII), D-Dimere, Antiphospholipid-Antikörper.
Bildgebung: Ultraschall oder CT-Angiografie bei Verdacht auf Thrombosen.
Therapie: Behandlungsmöglichkeiten bei Gerinnungsstörungen
Die Therapie richtet sich nach der Art der Störung:
Hämorrhagische Diathesen: Substitutionstherapie mit fehlenden Gerinnungsfaktoren, z. B. Faktor-VIII-Konzentrate bei Hämophilie A.
Thromboseneigung: Antikoagulanzien wie DOAKs, Heparin oder Vitamin-K-Antagonisten.
DIC: Behandlung der zugrunde liegenden Ursache und Ersatz von Gerinnungsfaktoren sowie Antithrombin.
Nachsorge: Wie sieht die langfristige Betreuung aus?
Patienten mit chronischen Gerinnungsstörungen benötigen regelmäßige Kontrollen:
Therapiemonitoring: Überwachung von INR-Werten oder Gerinnungsfaktorspiegeln.
Komplikationsmanagement: Prävention von Blutungen oder Thrombosen durch Dosisanpassung der Medikation.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit: Einbindung von Kardiologen, Gynäkologen oder Onkologen.
Prognose: Wie sind die Heilungsaussichten?
Die Prognose hängt von der Art und Schwere der Störung ab:
Genetische Störungen: Gut kontrollierbar durch moderne Therapien wie rekombinante Gerinnungsfaktoren oder Gentherapie.
Erworbene Störungen: Stark abhängig von der Grunderkrankung (z. B. Sepsis, Malignom).
Prophylaxe: Wie können Gerinnungsstörungen vermieden werden?
Vorbeugung ist besonders wichtig bei Risikogruppen:
Lebensstil: Vermeidung von Übergewicht, Rauchen und Bewegungsmangel.
Medikamentöse Prophylaxe: Antikoagulanzien bei Risikopatienten (z. B. postoperative Prophylaxe).
Vorsorge: Früherkennung bei familiärer Belastung durch Screening-Tests.
Häufige Fragen zu Gerinnungsstörungen
Gerinnungsstörungen sind Erkrankungen, bei denen die Blutgerinnung gestört ist – entweder durch eine erhöhte Blutungsneigung oder eine verstärkte Gerinnungsfähigkeit.
Quellen:
1. Nogami K & Shima M.: Pathophysiology and Treatment of Hemophilia. In: Hemophilia and Hemostasis: A Case-Based Approach to Management. Springer, 2017. DOI: 10.1007/978-981-10-3886-0_9.
2. Skelley JW, White CW & Thomason AR. The use of direct oral anticoagulants in inherited thrombophilia. J Thromb Thrombolysis. 2017;43(1):24-30. doi: 10.1007/s11239-016-1428-2.
3. American Society of Hematology (ASH): Clinical Guidelines: Management of Coagulation Disorders in Critical Care. Verfügbar unter: https://www.hematology.org/education/clinicians/guidelines-and-quality-care/clinical-practice-guidelines/venous-thromboembolism-guidelines/anticoagulation-therapy (Abrufdatum: 20. November 2024).
4. ASH: Research Updates: Gene Therapy for Hemophilia B Found Safe and Effective in First Phase III Trial. Verfügbar unter: https://www.hematology.org/newsroom/press-releases/2020/gene-therapy-for-hemophilia-b-found-safe-and-effective-in-first-phase-iii-trial (Abrufdatum: 20. November 2024).
5. ASH: Patient Care Resources: Blood Clots - Hematology.org. Verfügbar unter: https://www.hematology.org/education/patients/blood-clots (Abrufdatum: 20. November 2024).