Journal Hämatologie
Thalassämie
© Anja Segermann

PD Dr. Lena Oevermann, Berlin

Thalassämien sind genetisch bedingte Störungen der Hämoglobinsynthese aufgrund von über 300 bekannten Mutationen in den Genen für Alpha- oder Beta-Globinketten. Man unterscheidet die Alpha- und Beta-Thalassämien nach Schweregraden. Das Fehlen eines Neugeborenenscreenings für Thalassämien in Deutschland erschwert die frühe Diagnosestellung. Eine Thalassämia minor ist klinisch unauffällig, wird aber oft fälschlich mit einem Eisenmangel assoziiert. Eine korrekte Differenzierung gelingt nur durch gezielte Diagnostik, etwa Ferritin, Transferrinsättigung, CRP sowie ggf. genetische Analysen. Bei transfundierten Kindern ist eine Hämoglobinelektrophorese wenig aussagekräftig – hier bleibt die Genetik der Goldstandard. Bei der Thalassämia major können durch die gestörte Globinkettensynthese keine stabilen Hämoglobinmoleküle gebildet werden. Die Folge: ineffektive Erythropoese, Hämolyse, extramedulläre Blutbildung und Eisenüberladung – Letztere teilsauch ohne Transfusionen, da die intes­tinale Eisenresorption hochreguliert wird. Skelettveränderungen, Splenomegalie und Organablagerungen sind typische Folgen einer unzureichenden Therapie. Standardtherapie bei Thalassämia major ist die lebenslange Transfusionstherapie, meist im 3-Wochen-Rhythmus. Bereits nach 10-15 Transfusionen steigen Ferritinwerte über 1.000 µg/l – eine Chelat-Therapie ist dann indiziert. Die Therapiekontrolle erfolgt mittels Ferritin und Eisen-sensitiver Magnet­resonanztomographie (MRT) (Leber, Herz, Milz, Pankreas). Wichtig ist zudem ein erweitertes Blutgruppenmatching zur Vermeidung von Antikörperbildung.

Kasuistiken

Ein Fallbericht schildert einen 3 Monate alten Jungen syrischer Eltern mit einem Hb-Wert von 5,5 g/dl und einer Splenomegalie. Die Diagnose Thalassämia major wurde durch genetische Tests bestätigt – beide Eltern waren Träger. Der Junge befindet sich seither im Transfusions- und Chelat-Programm. In einem weiteren Fall konnte ein 8-jähriges Mädchen mit massiver Eisenüberladung erfolgreich transplantiert werden: Eine allogene Stammzelltransplantation ist derzeit die einzige kurative Therapie. Optimal ist der Eingriff im Kindesalter (< 12-14 Jahre), idealerweise mit HLA-identem Geschwisterspender. Eine vorherige Eisenentlastung ist essenziell, um Transplantationskomplikationen wie Lebertoxizität und Venenverschlusskrankheit zu vermeiden. Nach der Transplantation blieb das Kind 4-6 Wochen stationär, benötigt nun ca. ein Jahr zur vollständigen Immunrekonstitution und erhält eine temporäre Immunsuppression. Nach geglückter Transplantation kann oft eine Aderlass-Therapie zur Eisenreduktion ausreichen.

 

Gentherapie und Pipeline

Kürzlich wurde die erste CRISPR/Cas-basierte Gentherapie von der EMA zugelassen. Der Ansatz: In CD34+-Stammzellen wird der Repressor für das fetale Hämoglobin (HbF) ausgeschaltet. Die Folge ist eine gesteigerte HbF-Produktion – ohne Beta-Ketten – und somit eine funktionelle Kompensation. Allerdings bleibt die myeloablative Konditionierung notwendig (inkl. Risiko für Infertilität) und langfristige Effekte der Gentherapie sind noch unklar. Weitere Forschungsansätze betreffen Antikörper-basierte Konditionierungen sowie In-vivo-Gentherapien, die künftig ohne Chemotherapie auskommen könnten. Mutationsspezifische Gentherapien sind bei der Vielzahl an Varianten derzeit noch unrealistisch.

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